Staatsarchiv Basel-Stadt (Hrsg.): Bewegte Vergangenheit

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Titel
Bewegte Vergangenheit. Filme aus dem Staatsarchiv 1+2. Vom Alpenflug zum Pop-Art-Fest 1933-1968. Vom Basler Rheinhafen zur Nordsee 1945-1961


Herausgeber
Staatsarchiv Basel-Stadt; teamstratenwerth
Erschienen
Basel 2010: Christoph Merian Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 26,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Malte Hagener, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Es ist ein zu begrüßender Umstand, dass durch die Einführung neuer Technologien wie DVD (zur Speicherung und Wiedergabe) und Internet (zum Vertrieb) zunehmend Filme zugänglich werden, die man früher nur mit erheblicher Mühe sehen konnte. Gerade solche Werke, die nicht dem traditionellen Spielfilmformat entsprechen, ob nun Dokumentar- oder Kurzfilm, Lehr- oder Industriefilm, Avantgarde oder Amateurwerk, profitieren von dieser Ausweitung der Materialbasis. Denn wenn die Spielfilme den sichtbaren Teil des Eisbergs bilden, dem sich die Filmwissenschaft bisher ganz überwiegend gewidmet hat, dann beginnt man jetzt zumindest zu ahnen, wie jene vier Fünftel, die sich unterhalb der Wasserlinie befinden, beschaffen sein könnten. Auch über die Ermöglichung eines breiteren und einfacheren Zugangs hinaus haben DVD-Editionen nicht-kanonischer Filme häufig den konservatorischen Nebeneffekt, zur archivarischen Sicherung des Ausgangsmaterials beizutragen. Zudem leisten diese Ausgaben im besten Fall auch einen Beitrag dazu, Geschichtswissenschaft, historische Sozialforschung und eine breite Öffentlichkeit für die Bedeutung audiovisueller Quellen zu sensibilisieren.

In der vorliegenden Edition, die ansprechend gestaltet ist (2 DVDs mit ausführlichem Booklet im Schuber), werden 18 Filme aus dem Staatsarchiv Basel-Stadt versammelt. Auf der ersten DVD ist eine breite Auswahl von unterschiedlichen Filmen aus der Zeit von 1933 bis 1968 versammelt, auf der zweiten gibt es eine thematisch motivierte Zusammenstellung, die sich um das Thema der Schifffahrt dreht, fast alle mit einem deutlichen Baselbezug. Was diese Filme jenseits der Regionalgeschichte interessant macht, ist, dass sie sämtlich vom klassischen Spielfilmformat abweichen, es sich also um Kurzfilme für das lokale Kinovorprogramm, um Unterrichts-, Industrie-, Werbe- und Amateurfilme handelt. Häufig handelt es sich um Mischformen aus Spielszenen und dokumentarischen Sequenzen, aus fiktionalen Momenten und Alltagsbeobachtungen, in denen beispielsweise Karten und Infografiken mit lyrischen Naturaufnahmen kombiniert werden. Insofern interessiert an diesen Filmen, die durch ihren belehrenden und informativen Charakter charakterisiert sind, auch wie Wissen und Visualisierung strategisch gebündelt werden oder durchaus auch in unterschiedliche Richtungen streben.

Das Erstaunen entzündet sich zunächst an Kontrasten: Die DVD beginnt mit einem optisch psychedelisch gestalteten Bericht über ein Pop-Art-Festival 1968; dies wird direkt gekontert mit einem Lehrfilm über die Ergebnisse einer Studie, welche die kombinierten Effekte von Alkohol und Medikamenten untersuchte. Die historische Distanz der Filme wird deutlich, wenn man in einem Ernährungsratgeber erfährt, dass der tägliche Eiweißbedarf „schon mit 400g Fleisch täglich“ gedeckt werden könne, oder der „Sportsgeist im Alltag“ als erstrebenswerte Grundhaltung gepriesen wird. Ein Film, in dem für die Vereinigung der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft geworben wird, deutet auf die Adressierung einer regionalen Zuschauerschaft, andere, die etwa eine afrikanische Elefantenjagd für den Basler Zoo zeigen, stehen eher im Zeichen des touristischen Interesses. Einige Basler Filmschaffende sind mehrfach präsent, so der Produzent und Regisseur August Kern oder der Schauspieler und begeisterte Hobbyfilmer Ernst-Robert Schäfer. Festivals wechseln mit touristischen Ausflügen in die Umgebung, didaktische Szenen mit Rollenstudien eines Theaterschauspielers, so dass man die Bandbreite des Gebrauchsfilms zumindest ansatzweise erkennen kann.

Die zweite DVD ist dagegen thematisch stärker fokussiert und enthält insgesamt sechs Filme, die sich im weitesten Sinne mit der Schifffahrt auseinandersetzen. Der erste, „Gegen den Strom“ (1956), ist sicher der am aufwändigsten produzierte Film der Edition; mit Ton (Synchronton war im nicht-professionellen Bereich bis in die 60er Jahre hinein keine Selbstverständlichkeit) und in Farbe begleitet man eine Schweizer Flussschifferfamilie in 40 Minuten von Rotterdam nach Basel. Umrahmt von einer Spielhandlung (die Frau des Kapitäns an Bord steht kurz vor der Entbindung ihres zweiten Kindes) werden Szenen aus dem Alltagsleben gezeigt ebenso wie touristische Ansichten und allerlei Wissenswertes und Belangloses über die Industrie am Fluss. Tatsächlich wurde der Film, dies erfährt man aus dem Abspann, zu nicht unwesentlichen Teilen von der flussansässigen Industrie finanziell unterstützt – ein Werbe- und Industriefilm also, der über die wirtschaftliche Bedeutung des Rheins aufklären soll. Weitere Filme zeigen die Ausbildung von Schiffsjungen oder die Situation des Basler Rheinhafens direkt nach dem Zweiten Weltkrieg.

Begleitet werden die beiden DVDs durch ein von Nathalie Baumann und Christoph Manasse sorgfältig ediertes Booklet, das die Filme vor allem historisch situiert und neben möglichst umfassenden filmografischen Angaben zahlreiche Hintergrundinformationen bietet. Der Schwerpunkt liegt dabei neben den lokalhistorischen Bezügen ganz klar auf dem Inhalt der Filme, so dass etwa der Hintergrund einer medizinischen Studie oder der lokale Bezug eines Films über die Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger erläutert wird. Mehr Informationen hätte der Rezensent sich gelegentlich zu filmtechnischen Fragestellungen und solchen der pragmatischen Rahmung gewünscht (unter welchen Umständen sind die Filme entstanden, vorgeführt worden und im Archiv gelandet?). So wird leider auch nicht klar, warum eine ganze Reihe der präsentierten Filmen deutlich von der Originallänge abweicht – es liegt die Vermutung nahe, dass hier aus vermeintlicher Rücksicht auf das DVD-Publikum gekürzt wurde, was schade wäre, weil damit im Dunkeln bleibt, wie die Filme ursprünglich ausgesehen haben. Davon unbenommen ist natürlich nach wie vor der Weg ins Archiv möglich, um weitere Entdeckungen zu machen.

Insgesamt ist diese Edition jedoch höchst erfreulich, denn nicht nur dass sammelnde Institutionen sich selbst aktiv in der Öffentlichkeit präsentieren, ist eine zu begrüßende Tatsache, sondern vor allem die interessante thematische Zusammenstellung, welche die Bandbreite des nicht-kommerziellen Gebrauchsfilm aufzeigt.

Redaktion
Veröffentlicht am
29.04.2011
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